AlleinerziehendNews am

Auch wenn die Bevölkerungsarmut in Deutschland immer wieder von Medien oder „angepassten“ Statistiken schöngeredet wird – die Realität sie da anders aus: Besonders unter den Kindern von Alleinerziehenden ist die Armut weit verbreitet. Fast eine Million Kinder wächst in einer Ein-Eltern-Familie auf, die Hartz-IV bezieht. Für das Kind bedeutet das ein Leben in Armut und natürlich viele soziale Nachteile. Nicht nur im Freundeskreis, sondern auch in der Schule.

Möchten Sie von Zuhause aus Geld verdienen?

Arm, ausgebrannt und isoliert

Das Leben der Alleinerziehenden ist unglaublich hart. Diese Meinung teilt unter anderem auch die Autorin Christine Finke. Doch es gibt auch andere Meinungen. Bernadette Conrad, die selbst Mutter einer Tochter ist, sieht es zum Beispiel anders. Für sie ist die Alleinerziehenden-Familienform eine Quelle der Kraft.

Seit vielen Jahren wirbt die Buchautorin Christine Finke für die Belange von Alleinerziehenden. Die promovierte Anglistin und Juristin betreibt dazu auch den Blog Mama arbeitet. Nun erschien auch ihr Buch „Allein, alleiner, alleinerziehend“. Der Untertitel ihres Buches verrät, worum es genau geht: „Wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder im Stich lässt.“

Was Christine Finke von der aktuellen Situation in Deutschland bezüglich der Alleinerziehenden hält, lässt sich anhand einiger Sätze in ihrem Buch deutlich erkennen: „Es ist nämlich so, wenn Du alleinerziehend bist, hast Du etwas falsch gemacht. Entweder den falschen Mann geheiratet oder Dir in der Ehe nicht genug Mühe gegeben. (…) Der einzige akzeptable Grund dafür (…) ist, durch einen tragischen Schicksalsschlag zur Witwe geworden zu sein.

Leider trifft das nur auf sechs Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland zu.“

Dies trifft auch auf die Unternehmerin Sheryl Sandberg zu, die in ihrem 2013 erschienenen Bestseller „Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg“ noch die Ansicht vertrat, dass Frauen sich doch nur etwas mehr anstrengen müssten, denn dann würde es schon mit der Karriere klappen. Solche Aussagen haben Christine Finke natürlich verärgert.

„Da schlägt man auf dem Arbeitsmarkt ja ein wie eine Bombe“ – auch sie selbst hatte einst eine Menge Erfolg im Job. Sie arbeitete als Chefredakteurin einer Elternwebsite mit Sitz in Norwegen. Sie machte Dienstreisen und hatte ein Au-Pair.

Als allerdings ihre Ehe im Jahr 2009 zerbrach, blieb sie mit ihren Kindern allein zurück. Sie sind heute 7, 10 und 15 Jahre alt. Als das passierte, wurde ihre Karriere mit einem Schlag zerstört. An eine Festeinstellung war nicht mehr zu denken.

„Ich war 45 und mit drei Kindern alleinerziehend. Da schlägt man auf dem Arbeitsmarkt ja bekanntlich ein wie eine Bombe“, erzählt sie.

Christine Finke wich in die Freiberuflichkeit aus

Um noch ausreichend Geld zu verdienen, wich die alleinerziehende Frau in die Freiberuflichkeit als Autorin aus. Doch auch in diesem Moment war das Geld noch immer sehr knapp. Der Unterhalt des Vaters, der ebenfalls selbstständig war, war sehr schmal bemessen. Das Kindergeld mussten sich beide Eltern teilen.

Auch von den staatlichen Förderungen Alleinerziehender hatte sie nicht sehr viel. Für steuerliche Entlastungen reichte es nicht, denn sie verdiente zu wenig. Hartz IV wollte sie nicht beantragen, und auch für die Tafel war sie sich zu stolz.

Immerhin würde es vielen anderen ja noch schlechter gehen als ihr, so sagt sie. Und so fand sich Christine Finke plötzlich in derselben Situation wieder, in der Hunderttausende Alleinerziehende stecken.

Ein harter Alltag

Der Alltag, den Christine Finke in ihrem Buch beschreibt, ist trist. Mode gibt es nur noch vom Discounter oder gleich gebrauchte Kleidung. Frisches Brot wird zur Ausnahme, ebenso wie eine Kugel Eis. Teilweise kann sie nicht einmal alle Zimmer ihrer Mietwohnung heizen.

Die Alleinerziehende befindet sich seit ihrer Trennung im Dauereinsatz – 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag. Die einzige Ausnahme sind vielleicht die Tage, an denen die Kinder den Vater besuchen. Doch auch hier bleibt nicht viel Zeit, um sich auszuruhen: „Ich war in ständiger Rufbereitschaft. Bei Ärzten wird die bezahlt, bei Müttern nicht“, erinnert sie sich.

Wenn der Druck zu hoch wird

Schon bald beginnt ihr Körper dem Druck zu unterliegen: Die Folgen sind Dauer-Stress, Schlafstörungen und Burn-Out. Sie muss zur Kur. Als „unfreiwilliges Ein-Frau-Unternehmen“ muss sie immer knapp am Anschlag arbeiten.

Sie leidet an Bettnässen, Schreiattacken, Albträumen, an psychosomatischen Bauch- und Kopfschmerzen. Auch beschreibt sie in ihrem Buch die vielen Phasen von Wut und Trauer bei den Kindern, von denen einige nachts nichts alleine in ihren Betten liegen wollen.

Doch das ist nur der Alltag. Schlimmer ist es, wenn es zu den kleinen und großen Krisen kommt. Wenn beispielsweise eine Krankheit zuschlägt, Knochen brechen oder eine Operation ansteht. Selbst die Verordnung einer Zahnspange sprengt den Zeitplan der Mutter, die zwischen Arbeit und Mutterdienst jonglieren muss.

Noch schlimmer kann es dann nur kommen, wenn die endlose betreuungsfreie Zeit losgeht. Es folgt eine typische Mischung aus Erschöpfung und sozialer Isolation. Die Kinder haben nämlich weder Kindergarten noch Schule – es bedeutet umso mehr Arbeit für die Mutter. So ist es zum Beispiel in den Sommerferien, erinnert sich Christine Finke. Immer wieder wird man gefragt: „Habt ihr Euch gut erholt?“ Für Alleinerziehende klingt die Frage, egal wie gut sie gemeint ist, nach Hohn.

Die Lösung für Alleinerziehende

Christine Finke hat auch eine Lösung für die vielen Probleme im Leben eines Alleinerziehenden. Sie sagt, dass man öfter einfach loslassen sollte. Dasselbe gilt nicht nur für Alleinerziehende, sondern auch für alle Eltern, die sich in der Vereinbarkeitsfalle zwischen Beruf und Kindern befinden. Ermutigend sagt sie:

„Ich habe noch nie die Fronten meiner Einbauküche geputzt, noch nie den Kühlschrank abgetaut und geputzt. Aber ich schaffe es, meine Blumen zu gießen, die wachsen und gedeihen, so wie meine Kinder.“

Ihre Lösung für die vielen Probleme der Alleinerziehenden klingt simpel. Doch ist es wirklich möglich, so einfach so loszulassen? Die Erkenntnis von Christine Finke lautet: Ab und zu auch mal über den Zustand der Wohnung hinwegsehen. Das Glück sollte man nicht im Konsum suchen, Gebrauchtes oder Selbstgemachtes kann auch schön sein. Und auch das Zuhause bleiben kann manchmal sogar erholsamer sein als eine Reise.

Weniger Stress und Druck

Stress und Druck: Das sind zwei wichtige Schlagwörter. Es sind beides Dinge, die (wenn wir ehrlich sind) erst in unserem Kopf entstehen. Wir selbst entscheiden, was wir uns zu Herzen nehmen und wie wir gewisse Dinge beurteilen.

Bernadette Conrad, die ebenfalls Journalistin und alleinerziehende Mutter einer Tochter ist, würde zum Beispiel behaupten, dass moderne Kleinfamilien den traditionellen Familien vielleicht sogar einen kleinen Schritt voraus sind. Auch sie hat ein recht interessantes Buch verfasst. Es trägt den Titel:

„Die kleinste Familie der Welt. Vom spannenden Leben allein mit Kind“

Stress und Druck kennt die Autorin natürlich auch. Sie muss als Autorin und Reisereporterin arbeiten. Sie selbst sagt über ihren Job, dass er „die maximale Jonglage, ein echtes Künststück, das viel Kreativität und Flexibilität verlangt“ sei. Wenn sie nach einer Geschäftsweise nach Hause kommt, ist sie natürlich fix und fertig, während ihre 15 Jahre alte Tochter es kaum erwarten kann, die Mutter wiederzusehen.

Und dennoch ist es ein Kraftakt, der die 53-Jährige stolz macht, und zwar jedes Mal, wenn sie ihn aufs Neue bewältigt: „Die Zufriedenheit, die man über seinen Beruf beziehen kann, ist mir sehr wichtig. Das hat mich immer angetrieben, den Spagat zwischen Kind und Karriere hinzubekommen.“

Minimal-Familie als Quelle der Kraft

Das Buch von Bernadette Conrad ist ein heftiger Kontrapunkt in der Debatte um das Thema Ein-Eltern-Familien. Sie ist der Meinung, dass der „defizitäre Blick“ auf die rund 1,6 Millionen alleinerziehenden Familien in Deutschland falsch sei. Sie fordert, dass man die Alleinerziehenden anders sieht. Ihrer Meinung nach sollte man die Ein-Eltern-Familien lieber als Kleinstfamilien, also als „bewegliche, lebendige kleine Zellen“ sehen. Sie sagt:

„Viele der Frauen und Männer, die ich für mein Buch interviewt habe, erlebe ich fokussiert, hoch konzentriert – und sie haben eine gewisse Gelassenheit, weil sie die Gegensätze des Lebens gut kennen. Man weiß, dass es nicht immer rund laufen kann“, erklärt sie.

Doch selbst für die Kinder der Betroffenen würde es einige interessante Vorteile der Situation geben. „Ich habe sehr empathische Kinder kennengelernt, die genau wussten, was Loyalität für ein wichtiger Wert ist“, sagt sie.

Dass eine solche Lebensform ideal ist, möchte sie allerdings nicht behaupten. Denn dafür seien die alltäglichen Sorgen der Alleinerziehenden viel zu dramatisch und die finanzielle Situation zu angespritzt.

„Alleinerziehende haben ein fünf Mal höheres Armutsrisiko als normale Familien“, erklärt sie.

Dies bestätigte auch eine jüngst erschienene Studie der Bertelsmann-Stiftung. Demnach sollen mehr als ein Drittel der Alleinerziehenden auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sein. Fast eine Million Kinder wachsen mittlerweile in einer Ein-Eltern-Familie auf, die mit den niedrigen Sozialleistungen über die Runden kommen muss. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sogar jedes zweite Kind, das Hartz IV erhält, in einer Familie mit nur einem Elternteil aufwächst.

Mehr Förderung

Knapp 600 Euro monatlich pro Kind würden viele Alleinerziehende vor der Armut bewahren. Die Autorin Bernadette Conrad verweist dabei auf die Forderung des Verbandes der alleinerziehenden Mütter und Väter in Deutschland (VAMV), der eben eine solche Grundsicherung für Kinder fordert.

„Dies wäre das klarste Signal, eine direkte Antwort auf das Problem der Kinderarmut. Kinder sollen mit dem Gefühl aufwachsen können, an den Möglichkeiten, die eine Gesellschaft bietet, auch teilhaben zu können“, erklärt Bernadette Conrad.

Bildquelle: © Kristin Gründler – Fotolia.com

2 Bewertungen
4.50 / 55 2