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Sechs Monate, ein Jahr, vielleicht sogar zwei – oder etwa noch länger? Was ist richtig und was nicht? Und vor allem: Was ist erlaubt? Ein aktueller Fall hat es sogar bis vor das Gericht geschafft und sorgt für jede Menge gespaltene Meinungen…

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Zu lange Stillen: Ein Fall fürs Gericht?

Ende Januar muss sich eine Mutter vor dem Bezirksgericht Dietikon ZH verantworten. Die Mutter hatte ihre Tochter, die bereits sieben Jahre alt war, regelmäßig gestillt.

Der Fall ist bislang einzigartig und wirft eine besonders wichtige Frage auf: Bis in welches Alter darf ein Kind überhaupt gestillt werden?

Eine sexuelle Handlung mit Kindern?

„Eine gleichartige oder ähnliche Thematik ist mir noch nie begegnet“, schreibt der emeritierte Strafrechtsprofessor Peter Albrecht auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Für den Experten ist zumindest theoretisch denkbar, dass die Mutter aufgrund einer „Schändung“ und „sexueller Handlungen mit Kindern“ verurteilt wird. Denn genau so lauten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft.

Um Klarheit in den Fall zu bringen, müssten die konkreten Umstände des Falles geklärt werden. Denn bisher ist nur bekannt, dass die Mutter ihre normal entwickelte siebenjährige Tochter regelmäßig für jeweils zwanzig Minuten an der Brust nuckeln ließ, und das, obwohl sie bereits abgestillt hatte und das Kind längst keine Muttermilch mehr trank.

„Man müsste insbesondere wissen, weshalb die Mutter dem siebenjährigen Kind die Brust gab“, so erklärt Albrecht. Damit ist gemeint, dass zunächst geklärt werden müsste, ob die Mutter aus sexuellen Motiven handelte.

Wie lange wird das Stillen empfohlen?

In der Schweiz wird von Ärzten und Experten empfohlen, das Kind in den ersten vier bis sechs Monaten nach der Geburt ausschließlich zu stillen oder mit dem Schoppen zu ernähren.

Danach sollen die Eltern schrittweise eine Beikost einführen. Nach dem ersten Geburtstag können die Kinder dann nämlich normalerweise schon vom Tisch essen.

Dass ein Kind von Fall zu Fall allerdings auch über diese Zeit hinaus noch gestillt wird, kann aber dennoch durchaus möglich sein. Früher habe man in der Schweiz beispielsweise deutlich länger gestillt. In anderen Ländern ist es sogar heute noch völlig normal, das Kind etwas länger zu stillen.

Gibt es eine Obergrenze?

Die Dauer des Stillens hängt unter anderem davon ab, welche Alternativen zur Verfügung stehen. Zum Beispiel Schoppennahrung oder altersgerechte Kost. Natürlich spielen aber auch die gesellschaftlichen Vorstellungen eine wichtige und entscheidende Rolle.

„Solange es für Mutter und Kind stimmt, gibt es aus ärztlicher Sicht nichts einzuwenden, wenn ein drei- oder vierjähriges Kind noch gestillt wird“, erklärte ein Experte. Je älter ein Kind allerdings werde, desto genauer müsse man danach fragen, ob es tatsächlich noch in beider Interesse sei. Denn eine wirklich klare Obergrenze für das Stillalter gibt es nicht.

Im aktuellen Fall aus Dietikon möchten sich viele Experten allerdings auch nicht ohne weiteres äußern – schließlich ist es nicht richtig, stillende Mütter unter eine Art Generalverdacht zu stellen. Es wäre nicht in Ordnung, wenn sich Mütter dadurch gezwungen fühlten, bereits nach einem Jahr abzustillen.

Stillen: Eine normale biologische Ernährungsform

Viele Fachautoren können den Anschuldigungen überhaupt nicht folgen. Sie beschimpfen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft als „unzumutbar“. Eine grobe Unterstellung könnte nur durch fehlendes Wissen erklärt werden. Denn ein Kind kann an sich nicht gegen seinen Willen gestillt werden.

Stillen ist ein Prozess, der nur dann möglich ist, wenn alle „Beteiligten“ mitwirken. Das beutetet im Klartext, dass ein Kind nur gestillt werden kann, wenn es ihm Wohlbefinden bereitet. „Stillen ist definitiv keine sexuelle Handlung, sondern eine biologische Ernährungs- und Betreuungsform.“ Das schreiben einige Autorinnen. Auch eine fundierte Obergrenze lasse sich ihrer Meinung nach nicht ziehen, ab wann das Stillen beigelegt werden sollte oder ab wann das Stillen sogar strafbar sein sollte.

Auch die Stellungnahme des Berufsverbandes der Stillberaterinnen verlautete ähnlich: Eine Mutter, die ein vier, fünf oder sechs Jahre altes Kind stillt, kann nicht krank sein, pervers oder eine Übermutter. Sexueller Missbrauch finde zudem nicht über das Stillen statt.

Beispiel Korea

Der Kinderarzt und Buchautor Herbert Renz-Polster zeigt sich über den Fall aus Dietikon ebenfalls etwas schockiert. Seiner Meinung nach sei es nicht einfach, aus der Dauer des Stillens auf einen Missbrauch zu schließen. Aus Sicht der evolutionären Verhaltensforschung falle es nicht aus dem Rahmen, wenn ein Siebenjähriges noch gestillt werde.

Hierzu verweist Renz-Polster auf verschiedene Studien. Die durchschnittliche Stillauer eines Menschen liege etwa bei dreißig Monaten. In Korea werden die jüngeren Kinder allerdings noch deutlich länger gestillt. Hier stillen die Mütter ihre Kinder teilweise bis ins Alter von sieben oder acht Jahren. Manchmal sogar bis zum zwölften Altersjahr.

Stillen hat viele Vorteile

Eines sollte klar sein: Je länger ein Kind gestillt wird, desto weniger steht die Nahrungsaufnahme selbst im Vordergrund, da sich das Kind theoretisch „selbst ernähren“ könnte. Beim Stillen in einem höheren Alter fließt auch nur noch sehr wenig oder teilweise auch gar keine Muttermilch mehr.

Dass ein Kind nach einem Rückgang der Milchproduktion weiterhin an der Brust saugen möchte, ist allerdings nichts außergewöhnliches. Das Stillen hat neben der Ernährung nämlich auch eine sogenannte „non-nutritive“ Funktion. Es soll beruhigen und entspannen.

Im Fall der angeklagten Mutter kommt es also nicht darauf an, ob das Kind noch etwas Muttermilch erhielt oder nicht – so oder so kann man nämlich noch vom Stillen sprechen. Das Kind wäre damit noch nicht „abgestillt“.

Auch Flavia Frei von der Stiftung Kinderschutz Schweiz verweist darauf, dass mit dem Stillen ein Bedürfnis nach Nähe erfüllt werde. Mit einem zunehmenden Alter könnten einem Kind allerdings auch Alternativen zum Stillen gegeben werden.

Bildquelle: © stanislav_uvarov – Fotolia.com

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