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Fotos ihrer Hochzeit schaut sie sich an, als wären es die Hochzeitsbilder einer anderen Frau… Es ist eine seltsame und dennoch rührende Geschichte: Eine Frau, die sich nicht mehr an die Vergangenheit erinnern kann. Doch wie kann man in der heutigen Welt überhaupt leben, wenn man sich an nichts mehr erinnern kann?

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Eine Frau ohne Erinnerungen

Susie McKinnon und ihr Gatte Eric Green sind eigentlich ein typisches, amerikanisches Pärchen, wie man es sich vorstellt. Im Laufe der Jahre haben es die beiden zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Das Paar entwickelte schließlich sogar eine Begeisterung für Kreuzfahrten. Auch das schöne Einfamilienhaus des Paares ist heute voller Erinnerungen und Schätze, die sie von ihren Reisen mitgebracht haben…

Allerdings gibt es eine kleine, besonders merkwürdige Sache:

Susie McKinnon kann sich an keine einzige der Kreuzfahrten erinnern.

Sie kann sich an überhaupt keinen einzigen Urlaub in ihrem Leben erinnern. Und auch an keinen einzigen anderen Moment ihrer Ehe mit ihrem Mann oder irgendetwas anderes davor.

Unglaublich

Man kann es sich kaum vorstellen, doch Susie kann sich schon ihr ganzes Leben lang an nichts erinnern. Es ist keine Demenz – und doch haben Wissenschaftler jahrzehntelang vermutet, dass es einen solchen Menschen wie Susie irgendwo da draußen in der Welt geben müsste. Eine Person, die auf den ersten Blick ein total normales Leben führt, beim genaueren Hinsehen allerdings völlig anders ist, als die Menschen um sie herum.

Susie McMinnon ist der erste Mensch, bei dem ein Zustand mit der Bezeichnung „Severely Deficient Autobiographical Memory“ festgestellt wurde. Die Frau weiß zwar einige Dinge über sich und ihr Leben, doch fehlt ihr eine Fähigkeit, solche Ereignisse nochmals im Geist durchzugehen.

Anders als gewöhnliche Menschen, ist sie nicht in der Lage, ihre Erinnerungen in einer Art Rückschau zu sehen. Sie kann also nicht durch ihre Erinnerungen schlendern.

Das liegt daran, dass sie kein episodisches Gedächtnis besitzt. Szenen der Vergangenheit können somit nicht vor dem geistigen Auge nochmals durchlebt werden. Für wohl jeden anderen Menschen ist das ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Man geht vergangene Ereignisse wie einen Film durch. Man schaut sich innerlich Szenen der Vergangenheit an. Traurige Ereignisse, freudige Erinnerungen und ähnliches.

„Ich kenne Teile dessen, was geschehen ist“, das sagt Susie McKinnon über ihre eigene Kindheit.

Doch leider ist nichts davon wirklich eine persönliche oder lebhafte Erinnerung. „Ich weiß nicht mehr, wie es war, jünger zu sein und kleiner. Ich habe keine bildhafte Vorstellung von mir als Kind.“ Es ist wirklich atemberaubend, wie Susie ihr eigenes Dasein durchlebt. Es widerspricht ziemlich stark der Art und Weise, wie man bisher über das essenzielle Menschsein gedacht hatte.

Ein erstaunlich geformter Charakter

Und obwohl Susie McKinnon nicht weiß, was alles geschehen ist, hat sie einen ganz eigenen, persönlichen Charakter entwickelt.

Im 17. Jahrhundert ging John Locke, ein bedeutender Philosoph, davon aus, dass das Gedächtnis entscheidend dafür sei, eine persönliche Identität eines Menschen zu formen.

Susie McKinnon ist der Beweis für das Gegenteil. Sie hat keine wirklichen Erinnerungen, und dennoch besitzt sie ohne Zweifel einen eigenen, geformten Charakter. Sie ist eine sehr weltoffene Frau. Sie hat einen schwarzen Mann geheiratet, obwohl sie einen sehr konservativen Vater hatte, der strikt dagegen war. Sie ist eine Katholikin, die sich irgendwann dazu entschlossen hatte, nicht religiös zu sein. Sie hat eine schüchterne Art, sie ist sensibel und gefühlsbetont. Sie ist neugierig und recht witzig. Auch einen Job hat sie. Sie arbeitet als Rentenexpertin in einer Behörde des Bundesstaates Washington.

Sie hat ihre eigenen Überzeugungen, ihre eigenen Meinungen, einige Hobbys und auch einen engen Freundeskreis.

Auch wenn Susie McKinnon die Erfahrungen in ihrem Leben nicht bewusst abspielen kann, so besitzt sie interessanterweise dennoch einen eigenen Charakter. Sie verfügt über eine geformte Persönlichkeit und sie weiß, wer und was für ein Mensch sie ist.

Natürlich stellt man sich da die Frage, ob eine Erinnerung, also das menschliche Gedächtnis, ein wirklich so integraler Bestandteil unserer Existenz ist… Sind unsere Erinnerungen am Ende möglicherweise sogar ein verzichtbarer Bestandteil unserer Wahrnehmung der Welt?

Musik: Ein Schlüssel der Erinnerungen

Musik ist in der Lage, Erinnerungen auf eine enorm bemerkenswerte Weise zu triggern. Das bedeutet, dass wir uns beispielsweise durch ein bestimmtes Lied sofort in einen vergangenen Gemütszustand versetzen können.

Das passiert oft ganz automatisch. Man verknüpft eben bestimmte Erinnerungen und Gefühle mit einem Song. Erinnern Sie sich daran, wie es ist, ein altes Stück aus längst vergangenen Zeiten zu hören. Zudem fanden Wissenschaftler heraus, dass Musik aus unserer Kindheit uns beim Hören geistig jung und fit hält.

Susies Mann hört gerne die Lieder von früher und erinnert sich oft an längst vergangene Zeiten. Dann spricht er hin und wieder darüber, wie sich die beiden kennengelernt haben. Susie McKinnon und Eric Green hatten sich in einem Krankenhaus als Kollegen kennengelernt.

Er selbst sagt über seine Frau: „Sie war ein freundlicher Mensch und, nun ja, sehr sexy.“ Susi, seine Frau, sagt darauf jedoch stets: „Das kann ich kaum glauben.“

Susie teilt mit ihrem Mann gemeinsam die Leidenschaft für Musik. Sie ist sogar Mitglied eines Chores. Sie kann sich durch ihr semantisches Gedächtnis, das noch völlig intakt ist, Liedtexte und Melodien merken.

Sie weiß beispielsweise auch, dass sie vor drei Monaten auf einer Bühne einen alten englischen Volkssong gesungen hatte. Interessant ist allerdings, dass sich Susie nicht mehr daran erinnern kann, was sie auf der Bühne gefühlt hat.

Das sagt Susie über ihr Gedächtnis

Mittlerweile ist es schon rund 40 Jahre her, dass Susie McKinnon bemerkte, dass sich ihr Erinnerungsvermögen von dem Erinnerungsvermögen anderer unterscheidet. Das war im Jahr 1977. In dem Jahr hatte eine Freundin aus Highschool-Zeiten sie gefragt, ob sie mit ihr einen Gedächtnistest machen könnte. Die Freundin hatte nämlich eine Ausbildung zur Arzthelferin angefangen. Der Test war eine Hausaufgabe.

Also legten beide los. Als die Freundin Susie dann allerdings Fragen zu ihrer Kindheit stellte, die im Test vorkamen, fragte Susie nur: „Warum fragst du mich so einen Kram? Niemand merkt sich sowas!“

Interessant: Bis zu diesem Tag hatte Susie McKinnon fest daran geglaubt, dass Menschen keine wirklich gefestigten Erinnerungen an vergangene Ereignisse hätten, sondern diese lediglich erfinden und dann ausschmücken würden. So machte sie es selbst nämlich und dachte, dass dies total normal sei.

Von ihren Antworten war Susies Highschool-Freundin jedoch total verstört. Sie riet Susie dazu, ihr Erinnerungsvermögen von einem medizinischen Fachpersonal checken zu lassen. Doch das tat Susie nicht. Erst drei Jahrzehnte später las sie rein zufällig einen Zeitungsbericht über die Arbeit von Endel Tulving. Ein Forscher, der den Unterschied zwischen einem semantischen und einem episodischen Gedächtnis beschrieben hatte.

In dem Artikel stand, dass der Forscher an der Universität Toronto einen Patienten mit Gedächtnisstörungen betreute. Der Patient hatte durch einen Unfall mit dem Motorrad sein episodisches Gedächtnis teilweise verloren. Er konnte sich an nichts mehr erinnern, außer an die Dinge, die gerade erst vor ein oder zwei Minuten passiert waren.

Allerdings verfügte er noch über sein Schulwissen. Zum Beispiel das der Fächer Mathe oder Geschichte. Wurden ihm neue Inhalte vermittelt, so konnte er sich das Wissen merken. Jedoch hatte er keine Erinnerungen an den Raum, in dem ihm das Wissen vermittelt wurde.

Als Susie den Bericht las, stellte sie große Ähnlichkeiten zu ihrem eigenen Erleben fest. Doch hatte sie keine Hirnverletzung erlitten – es war angeboren. Alles erschien ihr also gesund und intakt.

Eine Aussage des Forschers in dem Artikel berührte sie allerdings zutiefst: Tulving sei davon überzeugt, dass auch manchen gesunden Menschen die Fähigkeit fehle, sich an persönliche Erlebnisse zu erinnern. Zwar seien solche Personen noch nicht gefunden worden, doch sei der Forscher davon überzeugt, dass es bald geschehen würde.

Schließlich entschied sie sich dazu, sich an den Forscher Brian Levine zu wenden. Im August 2006 verschickte sie dazu eine Email:

„Ich glaube, es besteht zumindest die Möglichkeit, dass ich ein solcher Mensch sein könnte. Ich bin 52 Jahre alt, extrem ausgeglichen und besitze einen ausgeprägten Sin für Humor. Sie zu kontaktieren, ist für mich ein großer (und ehrlich gesagt, beängstigender) Schritt.“

Das Interview zwischen dem Forscher und Susie schien die Annahme schließlich zu bestätigen: Susie war der erste bis dahin bekannte Mensch, der gesund war und gleichzeitig über kein erkennbares episodisches Gedächtnis verfügte.

Schon sehr bald darauf fand der Forscher noch zwei weitere Personen, die ähnliche Gedächtnisstörungen hatten. Es handelte sich um zwei Männer mittleren Alters. Beide waren in ihren Berufen erfolgreich. Einer hatte sogar einen Doktortitel. Der andere befand sich in einer Langzeitbeziehung.

Hunderte weiterer Personen mit Gedächtnisproblemen

Der Forscher Levine veröffentliche schließlich die Ergebnisse seiner Studie im Jahr 2015 über Susie und die beiden Männer in der Zeitschrift Neuropsychologia. Seither haben sich schon mehrere Hundert Personen bei Levine und seinen Kollegen gemeldet, die ebenfalls an ähnlichen Symptomen leiden.

Wie ist das Leben ohne ein periodisches Gedächtnis?

Was für einen gewöhnlichen Menschen als völlig unvorstellbar erscheint, ist für die Betroffenen wohl ganz normal und Bestandteil des täglichen Lebens. Schließlich ist den meisten selbst nach vielen Jahren nicht einmal aufgefallen, anders zu sein.

Besonders interessant ist die Einstellung Susies: „Wenn ich besessen versuchen würde, jeden Moment festzuhalten, weil ich ihn sonst wieder vergesse, werde ich die Momente nicht wirklich erleben können.“

Auch könnte man meinen, dass sie aufgrund ihrer Gedächtnisstörung ihr Leben besonders gerne mit den neuesten technischen Mitteln in Form von Videos und Fotos aufzeichnen würde, doch hier fehlt der Dame jegliches Interesse.

Einmal nur hatte sie versucht, ein Tagebuch zu führen. Nach zwei drei Tagen hatte sie aber wieder aufgehört. Auch soziale Medien benutzt sie nicht. Kein Instagram, kein Pinterest. Einmal ist sie auf Facebook gewesen, doch das hatte sie schnell nicht mehr interessiert. Denn auch dann, wenn sie dort selbst aktiv wäre, hätte sie kaum Material, das sie teilen könnte.

Einmal hatte sie sich für eine Kreuzfahrt eine Kamera ausgeliehen, doch das filmen mochte sie nicht. Durch das Filmen habe sie, so sagt sie selbst von sich, das Gefühl für den Moment verloren.

Sie empfindet nichts dabei, die Bilder später zu betrachten. Deswegen macht sie auch keine Fotos.

Auch wenn sie sich die Fotos ihrer Hochzeit anschaut, empfindet sie nichts dabei. Keine Gefühle, keine Erinnerungen. Es ist, als würde sie sich die Hochzeitsbilder einer fremden Frau anschauen. Dennoch merkt sie sich die kleinen Geschichten und Anekdoten.

Bildquelle:© pathdoc – Fotolia.com

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