ArbeitslosHartz 4News am

Dass man von Hartz IV leben kann (so die allgemeine Behauptung) ist unumstritten. Aber wie gut lässt es sich eigentlich von gerade einmal 7,45 Euro pro Tag leben – und vor allem: was macht das mit einem? Wie verändert sich der Alltag? Braucht man noch Freunde? Ein Selbstversuch aus dem „Handelsblatt“ zeigte, wie dramatisch die Auswirkungen sein können…

Möchten Sie von Zuhause aus Geld verdienen?

Ständiger Neinsager

Der Autor des Artikels ist ahnungslos und weiß noch längst nicht, was alles in den kommenden Tagen und Wochen auf ihn zukommen wird. Allerdings ist es das Hungergefühl, dass ihn wohl oder übel ständig begleiten wird. Hinzu kommt der ständige Drang, nein zu sagen und sich fortwährend bei seinen Freunden zu entschuldigen:

Tut, mit leid, ich kann nicht mit dir Mittagessen gehen. Nein, ich hole keinen Kaffee unten im Café. Nein, morgen auch nicht. Ich habe nämlich kein Geld. Ich lebe nun zwei Wochen vom Hartz-IV-Satz. Denn von diesem Satz zu leben, ist der Auftrag der Redaktion…

Ein wunderbares Experiment

Der Grund für den Auftrag des Experiments war die Arbeitsreform, die ihr zehnjähriges Jubiläum feierte. Und selbst 10 Jahre später wird noch heftig über die Reform diskutiert. Insbesondere darüber, ob die Leistungen überhaupt zum Leben reichen – zum Überleben reichen sie, keine Frage. Doch macht das Kriechen am Existenzminimum auf Dauer krank…

12,61 Euro pro Tag

Der Auftrag der Reaktion lautete nun, mit einem Betrag von gerade einmal 12,61 Euro pro Tag auszukommen, denn bei Alleinstehenden betrug der Regelsatz zum Zeitpunkt des Experiments 391 Euro monatlich. Werden nun die Stromkosten anteilig abgezogen, die das Amt in vielen Fällen nicht einmal übernehmen würde (ebenso wie Handy, Internet und Versicherungskosten) so bleiben pro Tag noch 8,74 Euro übrig. Bei einem echten Betroffenen würde man nun vielleicht auch noch das Vermögen vom Satz abziehen.

Wohnung zu teuer und zu groß

Für eine Einzelperson durfte die Wohnung zum Zeitpunkt des Versuchs gerade einmal 407 Euro kosten – und das inklusive Nebenkosten. In manchen Städten ist es so gut wie unmöglich, eine Wohnung für diesen Preis zu bekommen. Da die Versuchsperson allerdings eine etwas teurere Wohnung hatte, musste der Mehrbetrag der Miete (120 Euro) vom Regelsatz abgezogen werden. Und so landete man schließlich bei nur noch 7,45 Euro pro Tag, die man zur Verfügung hat.

Achtung!

Das Experiment stellt natürlich keinen wirklichen Vergleich zur Realität dar, denn für einen echten Hartz-IV-Empfänger ist die Bezugsdauer und die Abhängigkeit von der Sozialhilfe ungewiss. Im Experiment war klar, dass der Spuk bereits nach zwei Wochen endet. Die Realität sieht anders aus: man weiß nie, wie lange sich die Armut hinstreckt und was als nächstes kommt. Man fühlt sich hilflos und ausgeliefert.

Bei Britta ist es ähnlich. Sie ist eine der 4,3 Millionen Hartz-IV-Empfänger in Deutschland. Anders als die allgemeine Annahme, dass Hartz-IV-Empfänger durchweg dumm und faul seien, würde sie sehr gerne arbeiten gehen.

Denn eigentlich ist die 55-Jährige Verkäuferin. Allerdings verlor sie vor vier Jahren ihren Job. Seitdem hat sie Bewerbung um Bewerbung gehabt. Das muss sie auch, denn schließlich ist es eine der Auflagen des Jobcenters. Meist bekommt sie allerdings nicht einmal eine Absage. Sie vermutet, dass ihr Qualifikationen fehlen, dass sie zu lange raus und zudem zu alt ist.

Einsamkeit

Britta wäre dankbar, wenn sie endlich wieder einen Sinn im Leben finden würde. Denn genau das ist das, was das Leben unerträglich macht. Man vegetiert im Existenzminimum vor sich hin und fühlt sich einfach überflüssig.

Zudem fehlen ihr die sozialen Kontakte. Sie führt ein Leben im Abseits und ist fast immer nur zuhause. Was soll man auch mit ein paar Euro in der Tasche anstellen? Wo soll man Menschen kennenlernen? Man kann niemanden einladen und bekochen. Das Radio läuft den ganzen Tag, auch wenn sie nie zuhört. Aber so ist es wenigstens nicht so still in der Wohnung.

Kaum Geld für gesundes Essen

Trotzdem ist sie dankbar, dass es Hartz IV gibt, auch wenn es schwierig ist, mit dem Geld auszukommen. Auch deswegen, weil sie noch Schulden zurückzahlen muss.

Frisches Obst oder Gemüse kann sie sich nur selten leisten, weswegen sie öfters zur Düsseldorfer Tafel geht. Hier bekommt sie nämlich nicht nur Lebensmittel, sondern kann auch mit den Anderen ein paar Worte wechseln.

Auch für die Testperson des „Handelsblatts“ änderte sich plötzlich eine ganze Menge: Plötzlich musste er seine Essgewohnheiten komplett umstellen. Und zwar auf Brot und Nudeln. Zusätzlich merkte er, dass er den Kauf von Dingen aufschob, die er eigentlich brauchte. Zum Beispiel Haarshampoo oder Waschmittel.

Also nahm er stattdessen einfach Proben im Drogeriemarkt mit, ohne dort etwas zu kaufen. Natürlich fühlte sich das äußerst beschämend an… Und dennoch schummelt er, denn er weiß, dass er in zwei Wochen wieder alles bedenkenlos einkaufen kann.

Das Geld reicht gerade einmal für eine Packung Nudeln, ein Brot, etwas günstigen Aufschnitt, Milch und Eier. Der Tageseinkauf beim Discounter liegt damit bei etwa 5,45 Euro. Mit etwas guter Einteilung kann das Brot sogar für zwei Tage ausreichen. Aus diesem Grund gönnt er sich nun auch ein paar frische Mandarinen.

Doch das leere Portemonnaie wiegt schwer – Weihnachten steht vor der Tür. Und wovon er die Geschenke kaufen soll, weiß er noch nicht.

Ein aufklärendes Gespräch mit einer Betreuerin

Die Testperson wendet sich an eine Betreuerin, die schon seit vielen Jahren im Arbeitslosenzentrum der Stadt die Hartz-IV-Bezieher bei praktischen Problemen betreut. Zu den üblichen Problemen gehören die Kommunikation mit dem Jobcenter, Anträge, Tipps, wie man mit dem Geld besser auskommt, und ähnliches. Denn damit hat die Arbeitsagentur nichts zu tun.

Die Betreuerin und ihre Kollegen helfen freiwillig. Und sie haben jede Geschichte schon einmal gehört. Häufig schildern die Betroffenen Überforderung bei der Amtssprache der Jobcenter. Viele stecken in der beklemmenden Situation, dass sie seit Jahren Bewerbungen schreiben, auf die sich allerdings niemand meldet.

Viele leiden an Depressionen und Hilflosigkeit und sind mit ihrer Situation komplett überfordert. Sie fühlen sich ausgeschlossen von der Gesellschaft und im Abseits verloren und zurückgelassen. Dazu kommen dann noch Hasskommentare von Personen, die allgemein behaupten, Hartz-IV-Empfänger seien dumm, faul und nutzlos und würden sich auf parasitäre Weise durchs Leben schnorren.

Kein Geld zum Leben

Wie die Testperson feststellt, reicht das Geld gerade so zum Überleben aus. Man kann sich das notwendigste Essen kaufen – doch etwas Unvorhergesehenes darf nicht passieren. Am schlimmsten sind die Wochenenden, wenn eigentlich halle draußen sind und etwas unternehmen.

Man kann nicht regelmäßig mit seinen Freunden zum Kaffeetrinken gehen, kann nicht ins Kino oder in die Kneipe. Äußerst unangenehm ist natürlich auch jeder einzelne Geburtstag, zu dem man eingeladen wird, denn Geschenke sind teuer.

Bildquelle: © Zerbor – Fotolia.com

18 Bewertungen
4.33 / 55 18